Interview mit dem IKF-Dozenten Sebastian Kernbach

IKF: Herr Dr. Sebastian Kernbach, Sie sind Lehrbeauftragter, Projektleiter und Visual Coach an der Universität St. Gallen, Co-Founder des Visual Collaboration Lab und geben Ihr Wissen über Visual und Design Thinking in Workshops und Beratungen weiter. Am IKF unterrichten Sie im CAS Wissensmanagement & Organisationales Lernen über Visual Thinking und werden im September auch im brandneuen CAS Digitale Transformation unseren Studenten die Idee des Design Thinking näher bringen. Design Thinking ist ein relativ neues Konzept, wodurch eine einheitliche Definition schwierig zu finden ist. Was können sich die Leser darunter vorstellen?

Sebastian Kernbach: Mit Design Thinking versucht die Geschäftswelt Denkweisen, Einstellungen und Werkzeuge aus dem Design zu nutzen, um Innovationen zu kreieren und vor allem, um Lösungen für Probleme zu finden. Mit Design ist dabei nicht in erster Linie Kunst oder die Suche nach Ästhetik gemeint, sondern das Lösen von Problemen. Die von dem globalen Design Unternehmen IDEO und dessen Geschäftsführer David Kelley als auch an der Stanford Universität entwickelten Werkzeuge dienen dem Fokus auf den Nutzer, dem iterativen Vorgehen und der Wichtigkeit von regelmässigem Feedback durch Tests.

IKF: Wie wurde Ihr Interesse an der Wissensvisualisierung und dem Design Thinking geweckt und was begeistert Sie daran?

Sebastian Kernbach: Mein Interesse für Wissensvisualisierung wurde 2009 geweckt, als ich im Rahmen meiner Masterarbeit eine Strategievisualisierung für BMW entwickeln und testen durfte. Es war toll, zu sehen, wie viel besser die Visualisierung gegenüber PowerPoint war und wie sehr es dem Verständnis aber auch der Begeisterung für die Strategie verholfen hat. In Stanford an der Universität hat mich an der Design Thinking School (d.school) die Begeisterung für das schnelle Umsetzen von Ideen in sichtbare Prototypen fasziniert und die positive Haltung gegenüber Fehlern. In meinen Beratungsprojekten und Workshops höre ich immer wieder von den Teilnehmern, dass diese über Visualisierung und Design Thinking zu einer anderen, produktiveren und positiveren Art des Arbeitens mit sich selber und mit anderen gefunden haben. Das begeistert mich und treibt mich an, diese Themen weiter in die Welt zu tragen.

IKF: Gibt es Zielgruppen, denen Sie das Konzept des Design Thinking speziell empfehlen können oder ist es allgemein anwendbar?

Sebastian Kernbach: Design Thinking ist wirklich für jede Person auf diesem Planeten nützlich. Derzeit arbeite ich an neuen Konzepten, wie Design Thinking für Forschende hilfreich sein kann und auf Basis des Stanford Buches «Designing your life» entwickle ich auch neue Werkzeuge für den Einsatz von Design Thinking für die Entscheidungsfindung in Karriere und im Leben allgemein.

IKF: Was muss beim Design Thinking besonders beachtet werden? Was für Probleme können entstehen?

Sebastian Kernbach: Design Thinking hat viel mit «thinking» zu tun und noch mehr mit «doing». Man sollte sich also darauf einstellen, dass man sehr viel machen wird und nicht nur denken und reden. Und, dass man sehr viel mit anderen zusammenarbeiten wird. Es geht im Kern darum, möglichst frühzeitig die eigenen impliziten Annahmen und Gedanken im Kopf durch Visualisierung konkret zu machen, damit diese Gedanken und Ideen für einen selber und andere zugänglich sind. Da kann es schon dazu führen, dass Menschen zu perfekt sein wollen und dadurch sich selber daran hindern, ganz einfache Gedanken auf Papier zu bringen. Der Design Thinking Ansatz hilft demnach auch, sich seiner Einstellung bewusst zu werden und diese weiterzuentwickeln. Es geht also nicht nur um die Anwendung von Tools, sondern auch um neue Einstellungen. Dieser Teil ist für Teilnehmer von Workshops meistens sehr überraschend und durchweg positiv am Ende.

IKF: Inwiefern hat Design Thinking mit digitaler Transformation zu tun?

Sebastian Kernbach: Design Thinking ist, wie gesagt, nicht nur ein Prozess mit einer Ansammlung von Techniken und Tools, sondern erfordert vor allem ein Umdenken und eine Veränderung der Einstellung hinsichtlich Veränderung. Digitale Transformation bedeutet Veränderung und Design Thinking ist ideal, um diese Veränderung zu unterstützen. Design Thinking bedeutet Nutzerzentrierung und das Erkennen der Bedürfnisse der Nutzer auf empathische Weise und stellt dafür u.a. die Empathie-Karte zur Verfügung, die wahrscheinlich einfachste und effektivste Methode, um sich in ein Gegenüber zu versetzen. Design Thinking impliziert also das Einnehmen einer anderen Perspektive und stellt ein entsprechendes Tool zur Verfügung. Diese Kombination aus Einstellung und konkretem Werkzeug ist es, was es braucht, um die digitale Transformation anzugehen und vorwärts zu denken.

IKF: Im CAS Wissensmanagement & Organisationales Lernen lehren Sie ausserdem über Visual Thinking und Wissensvisualisierung. Welche Vorteile bringt eine Wissensvisualisierung?

Sebastian Kernbach: Wissensvisualisierung hilft jedem einzelnen, Teams als auch Organisationen, Wissen sichtbar und dadurch diskutierbar zu machen. Dadurch entstehen neue Lösungen, es können Denkfehler antizipiert werden und man arbeitet fokussierter und engagierter zusammen. In allen Workshops und Beratungsprojekten erlebe ich mit CEOs, mit Professoren und auch mit Studenten, dass Visualisierung hilft, um klarer zu denken und zu kommunizieren und sich dabei besser zu fühlen und selbstwirksamer zu sein.

IKF: Können auch komplexe Inhalte visualisiert werden? Wenn ja, wie soll man dabei am besten vorgehen?

Sebastian Kernbach: Komplexe Inhalte eignen sich ideal, um visualisiert zu werden, weil die Visualisierung dabei hilft, in all der Komplexität den Überblick zu bekommen und zu bewahren und bei Bedarf Details hinzuzufügen. Meine Empfehlung für das Vorgehen? Machen Sie es wie Albert Einstein. Notieren Sie zunächst alle komplexen Inhalte als Liste oder als einfaches Mind Map. Erst im zweiten Schritt versuchen Sie dann, die Inhalte in Bereiche zusammenzufassen. Geben Sie diesen Bereichen eine Überschrift. Im nächsten Schritt arbeiten Sie nur mit den Überschriften und versuchen, die Beziehung zwischen diesen herauszufinden. Visualisierung hilft Ihnen dabei. Im letzten Schritt erstellen Sie eine Übersichtskarte mit den Überschriften und fügen die Details hinzu.

IKF: Visualisieren Sie selbst auch gerne Inhalte? Wenn ja, machen Sie das digital oder am liebsten noch mit Stift und Papier?

Sebastian Kernbach: Ich visualisiere jeden Tag und in fast jedem Gespräch. Dabei arbeite ich vor allem mit Stift und Papier, weil die Unmittelbarkeit und Flexibilität unschlagbar sind. Ich bin sicher, dass Einstein, Da Vinci und Freud auch heute noch mit Stift und Papier arbeiten würden. 

IKF: Herzlichen Dank für Ihre spannenden Antworten, lieber Herr Kernbach!

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