Interview mit dem Psychoanalytiker, Ethnologen und IKF-Dozenten Mario Erdheim
„Psychoanalytische und ethnologische Ansätze befruchten sich gegenseitig.“
IKF-Dozent Mario Erdheim, Psychoanalytiker und Ethnologe, hat schon einiges erlebt. Er ist in Ecuador geboren, studierte Ethnologie, Geschichte und Psychologie in Wien, Basel und Madrid. Anschliessend arbeitete er als Gymnasiallehrer für Geschichte sowie als Lehrbeauftragter für Psychologie mit Schwerpunkt Ethnopsychoanalyse und Ethnopsychiatrie an der Universität Zürich. Der heute 83-Jährige betreibt seine eigene Praxis als Psychoanalytiker und unterrichtet nach wie vor an unterschiedlichen Institutionen.
IKF: Sie gehören zu den Wissenschaftlern, die Ethnologie und Psychoanalyse miteinander verbunden haben. Was reizt Sie daran?
Mario Erdheim: Schon immer habe ich mich gefragt, wie das Individuum die Kultur erlebt. Gemäss der Freud’schen Psychoanalyse entspricht das Unbewusste dem „inneren Ausland“. Ethnologen beschäftigen sich aber stets mit dem „äusseren Ausland“. Wie spielt das innere mit dem äusseren Umfeld zusammen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem intrapsychisch Unbewussten und den Feldforschungserlebnissen?
IKF: Am IKF unterrichten Sie zurzeit im Modul „Transkulturelle Sozialisation. Psychoanalytische Erklärungen für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ innerhalb des CAS Interkulturelle Kommunikation und Transkulturelle Kompetenzen. Was bedeutet das Fremde für Sie?
Mario Erdheim: Aufbauend auf diesem Zusammenhang zwischen der Psychoanalyse und der Ethnologie, dem Unbewussten in der Feldforschung, habe ich mich mit dem Konzept des Fremden, das sowohl Angst als auch Faszination auslösen kann, ethnologisch sowie psychoanalytisch auseinandergesetzt. Da in der psychologischen Forschung stets auf den Angstfaktor des Fremden fokussiert wurde und der Rolle der Faszination, die das Fremde auslösen kann, nur wenig Beachtung geschenkt wurde, habe ich mich auf Letzteres konzentriert. Ich habe versucht, das Faszinierende und damit auch die Wichtigkeit des Fremden in die Psychoanalyse zu bringen.
IKF: In Ecuador aufgewachsen, Feldforschung in Mexico betrieben, in Zürich und in Wien gelebt - haben Sie selber auch schon einmal das Gefühl von Fremdheit erfahren?
Mario Erdheim: Aber natürlich! In Ecuador wuchs ich in einem Migrantenmilieu auf - in der Schule habe ich mich immer fremd gefühlt. In der Schweiz wiederum fühlte ich mich als „Ecuatorianer“ fremd. Ich habe schon von früh auch am eigenen Leibe erlebt, dass es kulturelle Unterschiede tatsächlich gibt, sie nicht nur einfach ein Diskurs sind, wie dies eine Zeit lang behauptet wurde. Diese teilweise auch beunruhigenden Erfahrungen vom Fremdheitsgefühl prägen einen Menschen. Daraus braut man sich schlussendlich auch seine eigene Kulturtheorie zusammen.
IKF: Ebenfalls bekannt sind Sie für Ihren Ansatz der Zerstörung der Feldforschungserlebnissen durch die akademischen Diskurse. Was meinen Sie damit?
Mario Erdheim: Der Ethnologe, der in eine fremde Kultur kommt und eine Zeit lang mit den Menschen dort zusammenlebt, macht seine guten und schlechten Erfahrungen, die die Basis für seine Beschreibungen der fremden Kultur bilden. Wenn er nun in seine Heimat zurückkommt und sich an der Universität an die Arbeit macht, macht er eine seltsame Erfahrung: Seine Kollegen sind gar nicht interessiert an dem Neuen, was er erfahren hat, die wollen ihr Leben hier ungestört weiterführen. Was man von ihm an der Universität, an der „Akademie“ erwartet, ist, dass er seine Forschungen mit dem bisherigen Wissen abgleicht. Der Forscher muss also seine Erfahrungen in der Fremde gleichsam übersetzen, um sie vergleichbar zu machen. Bei dieser Übersetzung geht aber genau das verloren, was das Eigentliche an der Arbeit war, das Subjektive, Lebendige.
IKF: Deshalb plädieren Sie für die ethnopsychoanalytische Methode.
Mario Erdheim: Genau. Mit der ethnopsychoanalytischen Methode weiss man im Voraus nicht, wohin die Reise führt. Man ist bezüglich der Hypothesen flexibel, reist ins Feld und reflektiert vor Ort, wo die Probleme sind. Diese Reflexivität vor Ort in den Forschungsprozess einzubetten empfinde ich als essentiell für die Zukunft der Ethnologie.
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